Asexualität 101: Eine Einführung in die vielfältige Welt der Asexuellen
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Neben lesbisch, schwul, bi- und heterosexuell bildet Asexualität die vierte sexuelle Orientierung. Auch wenn die ein oder anderen unter uns mit dem Begriff bereits etwas anzufangen wissen, ist oft nicht klar, wie asexuelle Personen, die sich in der Community “Aces” nennen, im Gegensatz zu allosexuellen Personen empfinden.
Diese Wissenslücke führt zu mangelndem Verständnis, Diskriminierung und vor allem weniger Akzeptanz für diesen Teil der Gesellschaft, der immerhin zwischen 0,5 und 5% der deutschen Bevölkerung ausmacht!
Asexualität und ihre Bedeutung
Wie genau unterscheidet sich Asexualität von anderen Orientierungen also? Kurz gesagt empfinden Aces keine oder nur wenig sexuelle Anziehung zu anderen Menschen. Sie haben kein oder wenig Verlangen nach sexueller Interaktion, das Spektrum der Asexualität ist aber breit und umfasst beispielsweise auch Personen, die (Solo-) Sex haben oder Menschen, die romantische Beziehungen führen oder eben nicht. Um die persönlichen Vorlieben eingliedern zu können, wird Asexualität in verschiedene Spektren unterteilt.
Wichtig zu erwähnen ist, dass Aces in ihrem Leben mit wenig oder keinem Sex nichts vermissen. Es wäre also falsch zu sagen, dass sie bspw. noch nicht “den/die Richtige*n” gefunden hätten oder ein weniger erfülltes Leben führen. Da dieser Teil der Community noch mit vielerlei Vorurteilen, Diskriminierung oder Unverständnis konfrontiert wird, ist ein verständnisvoller Umgang mit jedem einzelnen Aces-Individuum also umso bedeutungsvoller.
Wie fühlt es sich aber an, keine oder nur wenig sexuelle Anziehung zu anderen Menschen oder in Beziehungen zu fühlen? Darüber sprechen wir in unserem heutigen Artikel. Schön, dass auch du heute dabei bist und dir mehr Wissen über die vielfältige Welt der Asexualität aneignen möchtest!
Sexuelle Anziehung & romantische Anziehung: Wo liegen die Unterschiede?
In der asexuellen Community wird grundsätzlich zwischen romantischer und sexueller Anziehung unterschieden. Diese Trennung der beiden Formen wird auch als “Split-Attraction-Model” (“Modell der getrennten Anziehung”) bezeichnet und gibt somit Aufschluss über die bevorzugte Form einer Beziehung der Aces.
Während sich die romantische Orientierung darauf konzentriert, mit wem die Person eine romantische Beziehung eingehen möchte, definiert die sexuelle Orientierung, mit wem die Person Sex haben möchte und welche Personen sie sexuell anziehend findet.
Einige Menschen sind sowohl aromantisch, als auch asexuell. Trifft das zu, so haben Aces kein Bedürfnis nach Sex oder Beziehung. Dass es hierbei keine Ausnahmen gibt, ist aber ein Mythos. Von der Selbstbefriedigung bis zum Sex, weil man dem Gegenüber nahe sein will oder ein Kinderwunsch besteht: Alles ist möglich!
Wichtig zu beachten ist, dass Orientierungen, sowie Spektren der Asexualität keine Verpflichtungen sind und von jeder Person individuell stark oder schwach, mit oder ohne Ausnahmen ausgelebt werden.
Die bunte Welt der Asexualität: Modelle und Typen
Asexualität in Typen aufzuteilen, ist eine frühe und teils auch veraltete Form der Erklärung dieser Orientierung. Hauptsächlich dient das Modell dazu, das Gegenüber besser zu verstehen, aber auch Wünsche und Grenzen respektieren und kennen zu lernen. Eine hilfreiche Methode also, um sich der Thematik langsam anzunähern und die Vielfalt der Asexualität zu visualisieren.
So vielfältig wie die Heterosexualität oder Homosexualität, ist auch die Asexualität. Eine Sexualität und deren Community auf ein Erklärungsmodell zu reduzieren- fatal! Am besten lernst du eine*n Ace kennen, wenn du sie/ihn nach seinen ganz individuellen Wünschen fragst. Besonders wichtig ist es aber auch den Hintergrund zu verstehen. Dafür eignet sich ein offenes Gespräch über Gefühle und Empfindungen.
Asexualität ist individuell und unterschiedlich stark ausgeprägt, dieses Modell dient daher lediglich zur Veranschaulichung. Die Grundbausteine für dieses Modell bilden die Fragen der Anziehung und des Sexualtriebes. Wir unterscheiden generell in vier Kategorien:
Typ A
Hier ist der Sexualtrieb vorhanden, aber die Anziehung bleibt aus. Den Personen ist zwar bewusst, dass sich Sex auf biochemischer Ebene gut anfühlen würde, jedoch empfinden sie es nicht als Notwendigkeit den Sex mit einer anderen Person auszuleben (ruhender Sexualtrieb).
Sex kann hierbei auch als unangenehm empfunden werden oder unangenehme Erinnerungen und Empfindungen auslösen. Außerdem können schwache oder zu starke Reize ausgelöst werden, was den Sex langweilig und uninteressant oder eben schmerzhaft macht. Solosex wird aber von manchen Personen trotzdem ausgelebt.
Eine ausbleibende Anziehung bedeutet hier nicht, dass keine engen Bindungen zu anderen Personen, bspw. Freund*innen oder eben auch Beziehungen aufgebaut werden kann. Eher bleibt das Bedürfnis nach Liebe aus, dieser Reiz ist nicht vorhanden.
Typ B
Hier ist die Anziehung vorhanden, aber der Sexualtrieb bleibt aus. Diesen Personen ist es möglich, sich zu verlieben, zu lieben und andere Personen anziehend und interessant zu finden. Ob auf einer emotionalen, geistigen oder körperlichen Ebene fühlen sich Personen des Typ Bs zu anderen Menschen hingezogen, der Reiz der Anziehung besteht also, jedoch haben sie kein Bedürfnis, mit dem Partner sexuell zu interagieren.
Trotz des nicht vorhandenen Sexualtriebes, genießen diese Menschen meistens Zärtlichkeiten, Kuscheln und berührt zu werden sehr. Oft bieten sie dem/der Partner*in den eigenen Körper an und lassen den Sex “über sich ergehen”. Diese Haltung wird vom Gegenüber aber auch missverstanden, nach dem Motto: Du liebst mich nicht, weil du keinen Sex mit mir willst. Diese Missverständnisse und die mangelnde Akzeptanz, machen es schwierig, eine gesunde Beziehung zu führen oder den/die richtige Partner*in zu finden.
Typ C
Sexualtrieb und Anziehung sind beiderlei vorhanden. Sex, sowie Masturbation fühlen sich für diese Personen gut an. Sie sind in der Lage, tiefe, emotionale Beziehungen aufzubauen. Das Lieben und Verlieben ist also möglich. Sie unterscheiden jedoch stark zwischen Liebe und Sex.
Diese beiden sind komplett verschieden und einfach unvereinbar. Es kann aber durchaus vorkommen, dass sie ihre Partner*in nicht auf Sex reduzieren, oder auch keinen Druck ausüben wollen. Außerdem ist es möglich, dass sie sich beim Sex ausgenutzt fühlen. Solosex ist also eine willkommene Lösung, um den Sexualtrieb auszuleben.
Typ D
Weder emotionale Anziehung, noch Sexualtrieb sind vorhanden. Geschlechtsverkehr wird hier als unangenehm empfunden und abgelehnt. Während emotionale und tiefe Freundschaften problemlos aufgebaut werden können und sie Menschen auch als interessant empfinden, bleibt das Verlangen nach Liebe oder Verliebtheit, also die Anziehung, aus.
Obwohl dieses Modell eine Daseinsberechtigung hat, ist es viel zu einfach gestrickt, um die bunte Bandbreite an Menschen und ihre Sexualität einzuordnen. So gibt es beispielsweise Aces, die sich in keinem dieser Typen wiederfinden, oder auch Menschen, die sich nicht als asexuell bezeichnen, jedoch dem Schema entsprechen.
Die Grauzone der Asexualität
Das obige Modell zeigt die vier Grundbausteine der Asexualität. Decken kann sie jedoch viele asexuelle Spektren nicht. Wir wollen, dass auch Personen gesehen werden, die sich in der Grauzone wiederfinden. Hier zeigen wir dir die wichtigsten Begriffe und ihre Bedeutung aus der Grauzone der Asexualität.
grau-asexuell (gray-ace)
Hierzu gehören Menschen, die sich nur sehr selten und wenig sexuell zu anderen Menschen hingezogen fühlen. Auch wenn die sexuelle Anziehung, wenn auch nur in geringem Maße, durchaus vorhanden ist, fühlen sich diese Menschen eher der asexuellen, als der allosexuellen Community angehörig.
demisexuell
Hierzu gehören Menschen, die sich anderen Personen prinzipiell nicht sexuell angezogen fühlen. Wenn sie eine Person jedoch länger kennen und sich intellektuell oder emotional hingezogen fühlen, kann durchaus eine sexuelle Anziehung entstehen. Durch diese sekundäre sexuelle Anziehung unterscheiden sie sich von allosexuellen Menschen, die primäre Anziehung empfinden, sich also auch zu fast fremden Menschen hingezogen fühlen.
fraysexuell
Hierzu gehören Menschen, deren sexuelle Anziehung zu fremden Menschen dann verschwindet, wenn sie die Person besser kennenlernen.
Drei wichtige Begriffe aus dem englischen ergeben haben, beschreiben zusätzlich zu obigen Spektren, das Verhältnis, das Aces zu Sex haben. Diese sind:
- sex-repulsed: Sex wird als abstoßend empfunden und sexuelle Handlungen abegelehnt.
- sex-indifferent: Wie der Name schon andeutet, wird Sex hier als gleichgültig empfunden. Es besteht weder aktives Interesse noch Abscheu.
- sex-favorable: Sex ist willkommen und wird genossen.
Die obigen Begriffe und ihre Bedeutung zu kennen, sorgt für mehr Bewusstsein im Gespräch über Asexualität und sensibilisiert die Gesellschaft. Das bedeutet für Aces auch endlich gesehen zu werden, denn keine sexuelle Orientierung sollte sich unsichtbar fühlen.
Beziehungen und Asexualität: Alles ist möglich, aber wie?
Die Welt der Aces ist bunt, so viel wissen wir bereits. Dass sie in keine Schubladen passen, so wie die meisten von uns, und sich ihre Wünsche nach ihren individuellen Bedürfnissen richten, ist die logische Schlussfolgerung. So haben Aces oftmals auch das Bedürfnis nach Kuscheln, Küssen, Umarmungen, oder einfach: Nach einer ganz bestimmten Vertrauensperson.
Unsere Recherche zeigte bereits, dass Asexualität Aces nicht daran hindert, Menschen attraktiv zu finden und sich von ihnen angezogen zu fühlen. Der wesentliche Unterschied besteht also darin, ob ein sexuelles oder romantisches Interesse dahintersteckt. Gleich können sie sich vom selben Geschlecht angezogen fühlen und outen sich daher auch als lesbisch-, schwul, bi- oder heterosexuell.
Eine Beziehung kann somit durchaus im Interesse einer asexuellen Person sein. Dass sie komplizierter als andere Beziehungsmodelle ist, ist ein reines Vorurteil. Wie in jeder Beziehung ist auch hier die interne Kommunikation der Schlüssel zum Glück.
Durch das oftmals abwesende Bedürfnis nach sexueller Interaktion ist es wichtig, der/die Partner*in offen darauf anzusprechen, Wünsche und Emotionen mitzuteilen und einen gesunden Mittelweg zu finden. Dass die Beziehung also unglücklicher als manch andere ausfällt, ist auszuschließen- sofern man den/die passenden*n Partner*in gefunden hat… Aber ist das nicht die Voraussetzung in jedem Beziehungsmodell?
Zusammenfassend können wir sagen, dass die Voraussetzung für eine glückliche Beziehung mit einer/einem asexuelle*n Partner*in auf gegenseitiges Verständnis, Kompromissbereitschaft, aber auch auf dem Willen beruht, die Beziehung gemeinsam erfüllend zu gestalten. Seien wir ehrlich: Beziehungen sind so viel mehr als Sex. Sie sind Glück, tiefsinnige Gespräche, Streit, Versöhnung, Spaß, Zweisamkeit, Vertrauen und Akzeptanz… und sogar so viel mehr- und können auch ganz alleine mit sich selbst als absolute Erfüllung funktionieren!
Fazit
(A-)Sexualität ist das, was jede*r von uns daraus machen möchte, also unsere ganz eigene Entscheidung und Vorstellung von einem erfüllten sexuellen und romantischen Leben. Keine festgefahrene Definition würde genügen, um ihr gerecht zu werden und all ihre Vielfalt unterzubringen.
Wir wünschen uns, dass jede*r die Möglichkeit hat, sich sexuell zu entfalten.