Baby Love - Sex in der Schwangerschaft und danach
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Ein positiver Schwangerschaftstest markiert meist nicht nur den Beginn einer Schwangerschaft, sondern kommt auch mit allerhand Verpflichtungen und Verzicht einher. Ganz im Sinne von Spiderman: “With great power comes great responsibility”, muss frau* ihre neu gewonnene Superkraft Menschen zu fabrizieren, gleich büßen. Es ist bittersüß. Denn mit der Bestätigung der Schwangerschaft beginnt ein Leben der Abstinenz und der verlorenen Autonomie. Es fängt mit dem Verbot von Rohmilchkäse, geräuchertem Schinken, Alkohol, Sushi und großen Mengen Koffein ganz schlagartig an und weitet sich langsam aber unaufhaltsam in andere Bereiche deines Lebens aus: auf den Sport (nicht zu heftig), die Klamotten (keine Highheels), Einkaufsgewohnheiten (nicht zu schwer heben), sogar Wellnessen (ich sag nur Fußreflexzonenmassage). Fehlt nur noch, dass man gezwungen wird sein Netflix-Abo zu kündigen. Denn es wird ja sonst praktisch alles verboten, was Spaß macht. Und wie ist das beim Sex? Um Facebook zu zitieren: “Es ist kompliziert”.
Darf ich als Schwangere Sex haben?
Wer den Übergang von eine*r mündige*n Erwachsene*n zur bevormundeten Schwangeren, die praktisch nichts mehr alleine entscheiden kann und quasi eine Standleitung zu ihre*r Gynäkolog*in oder Hebamme braucht um abzuklären, ob sie etwas darf oder eben auch nicht, schwierig findet, der/die hat meine vollste Sympathie. Es ist, als ob man sich zurückentwickelt hätte und bei seinen Eltern um Erlaubnis bitten muss, länger aufbleiben zu dürfen.
Die kurze Antwort auf die Frage nach Sex in der Schwangerschaft ist: ja! Bitte, hört auf eure Körper, Sex ist ein menschliches Grundbedürfnis und das sollte durch eine Schwangerschaft nicht einfach ausgehebelt werden. Es ist sehr traurig, dass wir diese Frage überhaupt stellen, aber sehr nachvollziehbar. Immerhin haben fast ein Viertel der Frauen* Angst davor in der Schwangerschaft Sex zu haben, was auf fehlende und adäquate Informationen zu dem Thema zurückzuführen ist. Allein das sollte uns schon ins Grübeln bringen, wie wir Schwangerschaft in unserer Gesellschaft handhaben und was wir schwangeren Frauen* kommunizieren. Denn bei den meisten Frauen* gibt es für die Angst eigentlich keinen medizinischen Grund, denn es gibt zwar einige Risikofaktoren (Wann sollten Sie auf Sex in der Schwangerschaft verzichten?), bei denen auf Sex verzichtet werden sollte, das ist aber nicht der Regelfall.
Wichtiger ist doch die Frage, die man sich eigentlich stellen sollte:
Will ich in der Schwangerschaft Sex haben?
Jetzt wird es komplizierter oder auch nicht. Denn auch hier ist alles okay und nicht gleich besorgniserregend. Man kann mehr Lust empfinden, weil die Geschlechtsteile in der Schwangerschaft besser durchblutet werden und z.B. auch die Brüste empfindlicher sind oder aber auch weniger oder genauso viel wie vorher. Und das kann sich auch in den unterschiedlichen Phasen der Schwangerschaft verändern. Auf jeden Fall sollte man sich nicht unter Druck setzen.
Was aber klar und festzuhalten ist, ist dass sich eine Schwangerschaft auf das Sexleben der schwangeren Frau* auswirkt. In einer portugiesischen Studie, zeigte sich, dass die Häufigkeit von Geschlechtsverkehr über die Trimester der Schwangerschaft abnimmt. Dies setzt sich in den ersten 3-6 Monaten nach der Geburt fort. Knapp 40 % der Teilnehmer*innen gaben an, dass ihre sexuelle Lust unverändert war, während ein Drittel der Frauen* eine Verminderung der sexuellen Lust angab. Genauso viele gaben an, dass ihre sexuelle Zufriedenheit abnahm.
Wenn wir von Sex reden, müssen wir aber auch unsere eigenen, oft engen Definitionen von Sex hinterfragen. Wie viele Studien, verstehen wir unter Sex meist nur penetrativen vaginalen Sex. Aber vielleicht könnten sich in der Schwangerschaft ja auch unsere sexuellen Handlungen ändern und anpassen, um dieselbe Zufriedenheit und Nähe in einer Beziehung zu erlangen oder diese sogar zu verbessern.
Aus zweifacher Erfahrung kann ich nur sagen: ich hatte es völlig unterschätzt, was es heißt schwanger zu sein. Und auch in den Beiträgen, die ich online finde, wird immer nur von Übelkeit zu Beginn und dem großen Bauch zum Schluss gesprochen. Aber es gibt in der Schwangerschaft tausend und ein Symptom, das man haben kann. Ich sage immer: “In der Schwangerschaft kann man alles kriegen”. Das können, wie bei mir, Symphysenschmerzen, eine unberechenbare Blase oder Atemnot sein. Es gibt aber noch zich weitere Dinge, die einem die Lust verleiden können. Wobei ich damit nicht sagen will, dass die Übelkeit zu Beginn nicht tatsächlich ein massiver Dämpfer sein kann. Laienhaft kann man sich eine 3 Monate anhaltende Magen-Darm-Grippe vorstellen. Auch der große Bauch ist definitiv ein Hindernis. Zum Schluss ist man ja froh, wenn man es in unter 10 Minuten in seine Schuhe oder von der Couch noch rechtzeitig aufs Klo schafft, da ist es sicherlich fraglich, ob man gewillt ist sich für Sex zu mobilisieren. Auch die Frage, ob man sich noch besonders sexy fühlt, ist nicht trivial, immerhin ist man als Frau* selten weniger sexuelles Wesen als während der Schwangerschaft.
Die Schwangere: das asexuelle Wesen
Der sich verändernde Körper wirkt sich auch auf die eigene Körperwahrnehmung aus und damit auch auf die sexuelle Funktion. Den meisten ist klar, dass der Bauch in der Schwangerschaft wächst, aber vielen Frauen* wird sicherlich erst während der Schwangerschaft bewusst, wie umfassend und nachhaltig diese Veränderung ist. Der eigene Körper sieht nicht nur anders aus, er fühlt sich auch anders an und das auch noch lange nach der Geburt. Er wird einem ein Stück weit enteignet, fühlt sich nicht mehr nur nach “meinem” an. Auch wenn das vielleicht naiv klingt, kam das für mich tatsächlich irgendwie überraschend.
Und nicht nur die eigene Wahrnehmung ändert sich, auch die der Umwelt, vor allem wenn man schließlich sichtbar schwanger ist. Denn hat man endlich seine reproduktive Bestimmung erfüllt, fällt man aus dem Raster der sexuellen Relevanz. In ihrem wunderbaren Ted Talk, beschreibt Sofia Jawed-Wessel diese Transition von Frauen* als sexuelle Objekte der Begierde zu “niedlichen” Schwangeren. Auf einmal fallen wir in dieselbe Kategorie, wie Ältere. Immerhin werden für uns auch Sitze in öffentlichen Verkehrsmitteln geräumt. Vielen Dank übrigens an dieser Stelle.
Die Feststellung, dass man als schwangere Frau* aufhört als sexuelles Wesen zu existieren, ist sicher für Schwangere ohne feste*n Partner*in oder in offenen Beziehungen am offensichtlichsten. Aber auch in festen Partnerschaften können sich Veränderungen zeigen. Das gilt auch über die Schwangerschaft hinaus: kann man als Frau* eigentlich sonst nie genug Brust zeigen, immerhin werden sie auf Werbeplakaten oft genug gezeigt, ist das beim Stillen meist problematisch und definitiv eins: unsexy.
Somit ändert sich nicht nur das eigene Selbstbild, sondern wird uns dies auch von unserer Umwelt gespiegelt. Dies verlangt einen großen Anpassungsprozess für schwangere Frauen* und das kann sich sicherlich auf die sexuelle Lust auswirken. Hierfür sind Geduld und Einfühlungsvermögen der Frauen* mit sich selbst, aber auch der Partner*innen gefragt.
Sex in Wochenbett und Stillzeit
Wer denkt, dass mit der Geburt alles “back to normal” ist, der/die irrt sich leider, denn nun kommt erst einmal das Wochenbett und der Körper stellt sich wieder um. Viele denken gar nicht viel darüber nach, denn dann ist es ja “vorbei” und die Ratgeber gehen meist nur bis zur Geburt und dann nur noch um das Baby. Aber was ist eigentlich mit der Mutter? Immerhin hat ihr* Körper gerade Unglaubliches geleistet und noch einen langen Weg vor sich, bis er sich davon erholt hat. Wie ist es also nach der Geburt?
Vaginaler Sex wird während des Wochenflusses (ca. 4 - 8 Wochen) nicht empfohlen, kann aber stattfinden, wenn beide Partner Lust haben. Ein Kondom wird angeraten, vor allem um Infektionen vorzubeugen. Also, ich habe mich noch ja nie weniger sexy gefühlt, als beim Tragen von Netzunterhosen und Binden, die so groß sind, dass man locker Stand-up-Paddling darauf machen könnte, aber vielleicht bin ich da ja komisch...
Aber auch die Wunden, die durch eine Geburt entstehen können, z.B. Dammriss oder Kaiserschnittnarbe, können noch länger Schmerzen verursachen. Wer stillt, braucht oft auch hier etwas Zeit, denn es ist leider nicht so einfach, wie es aussieht. Der Beckenboden ist von Schwangerschaft und Geburt auch nicht mehr der alte. Durch die gelockerten Bänder kann sich der Sex anders anfühlen oder sogar schmerzhaft sein. Hier kann Beckenbodengymnastik unter Umständen helfen.
Der Körper hat sich aber auch sonst nachhaltig verändert: der Bauch sieht zunächst aus, als hätte das Baby sein Geschwisterchen im Bauch vergessen und dann, als ob man aus einem Ballon die Luft herausgelassen hätte. Meist ist die ganze Oberfläche marmoriert von Schwangerschaftsstreifen und wer eine Kaiserschnittnarbe hat, bei dem/der sieht es ein bisschen nach Frankensteins Monster aus. Wer stillt, hat auf einmal Riesenbrüste, die sich manchmal anfühlen, als ob sie gleich platzen würden und die unschuldigsten Gedanken, können eine Sturzflut auslösen und man tropft, wie ein alter Wasserhahn. Nach dem Stillen sehen die Brüste dann leider deutlich trauriger aus und sind den Füßen auf einmal ein ganzes Stückchen näher. Viele Dinge, die sich in der Schwangerschaft verändert haben, kehren danach in den Ausgangszustand zurück, aber viele andere eben auch nicht. Und es braucht oft eine Weile, bis man sich an seinen neuen Körper gewöhnt hat. January Harshe hat hierfür auch die wunderbare Instagramseite “Take back postpartum” ins Leben gerufen, wo Frauen* ihre neuen Körper ganz ohne Scham präsentieren dürfen.
Als ob das nicht genug wäre, kommen Schlafentzug und die Erschöpfung, die durch die unglaubliche Leistung von Schwangerschaft und Geburt herrühren, noch hinzu. Die Umstellung des eigenen Lebens dadurch, dass da ein neues Wesen bei einem lebt, das einen dazu zwingt seine eigenen Bedürfnisse zurückzustellen, weil es seine eigenen unmittelbar erfüllt braucht. Wer sich da nicht unbedingt die Kleider vom Leib reißen möchte, weil er/sie unstillbare sexuelle Lust empfindet, weiß ich auch nicht.
Sex in der Schwangerschaft und nach der Geburt, hat vor allem mit einem zu tun: Anpassung. Denn es finden viele Veränderungen in dieser Zeit statt und viele davon sind “gekommen um zu bleiben”. Das verlangt nach Geduld, mit sich selbst und dem eigenen Körper. Vor allem aber sollten wir besser auf unsere Körper hören, denn wie so oft beim Sex, ist erlaubt, was guttut, auch in der Schwangerschaft. Es sollte aber kein Muss sein und wir sollten “Sex” so weit fassen, wie nur möglich, um Frauen* in der Schwangerschaft zu empowern, denn verzichten müssen sie schon auf genug.